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Eva Kaili im Gespräch – Vizepräsidentin des Europaparlaments über MiCA und Krypto

In einem vorherigen Artikel, den ich für Cointelegraph geschrieben habe, hatte ich kommentiert, wie die Europäische Union (EU) mit den beiden Gesetzesvorhaben Markets in Crypto-Assets (MiCA) und Transfer of Funds Regulation (ToFR) wichtige Schritte zur Regulierung der Kryptobranche macht. In diesem Zusammenhang hatte ich nun die Möglichkeit, eine der Personen zu interviewen, die für die Regulierung dieser neuen Technologie maßgeblich verantwortlich ist: Eva Kaili, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Kaili arbeitet mit Nachdruck daran, Innovation als treibende Kraft für den Aufbau eines digitalen europäischen Binnenmarkts zu nutzen.

Im nachfolgenden Interview sprechen wir über wichtige Punkte der MiCA und schlüsseln auf, wieso einige Gesetzesvorschläge umstrittener sind als andere, darunter zum Beispiel die Nichtberücksichtigung der Dezentralisierten Finanzen (DeFi), die Regelbefolgung durch automatisierte Smart Contracts (Lex Cryptographia), Dezentralisierte Autonome Organisationen (DAOs) und noch vieles mehr.

1.) Sie arbeiten hart darauf hin, dass Innovation als treibende Kraft für die Zusammenführung eines gemeinsamen europäischen Digitalen Binnenmarktes dienen kann. Sie waren als Berichterstatterin an mehreren wichtigen Gesetzesvorhaben in den Bereichen Blockchain-Technologie, Onlineplattformen, Big Data, Fintech, Künstliche Intelligenz (KI) und Cybersicherheit in vorderster Front beteiligt. Was sind die hauptsächlichen Herausforderungen bei der Umsetzung von Gesetzesvorhaben im Bereich der neuen Technologien?

Technologie entwickelt sich schnell, und innovative Lösungen brauchen Freiraum, damit sie entwickelt und getestet werden können. Die Gesetzgeber brauchen dann wiederum Zeit, um verstehen zu können, wie diese Technologien gestaltet wurden, um sich mit Stakeholdern zu treffen und zu verstehen, welche Auswirkungen sie auf den bestehenden Markt haben könnten. Im Optimalfall wird also nicht sofort mit einer Gesetzesinitiative auf eine neue technische Entwicklung reagiert, sondern erst mal sollte Zeit eingeräumt werden, damit sich die Technologie entwickeln kann und dass Gesetzgeber verstehen können, was die Vorteile und Nachteile der jeweiligen Innovation sind, wie diese die momentane Marktstruktur beeinflussen, damit sie dann einen ausgewogenen, technologie-neutralen und zukunftsgerichteten Gesetzesrahmen schaffen können. Aus diesem Grund wählen wir in Europa einen Ansatz nach dem Motto „abwarten und beobachten“, durch den wir kleine und sichere Schritte nach vorne machen, indem wir uns drei grundlegende Fragen stellen: 1.) Ab wann sollte die technische Neuerung reguliert werden? 2.) Wie detailliert muss der Gesetzentwurf sein? 3.) Wie breit muss dieser gefasst sein?

In diesem Kontext kann es immer wieder neue Herausforderungen geben, bei denen dann entschieden werden muss, ob alte Regeln an neue Instrumente angepasst werden oder ob es neue Regeln für neue Instrumente braucht. Der erste Ansatz ist nicht immer passend und kann ungewollte Konsequenzen für die rechtliche Sicherheit haben, wenn Veränderungen oder Modifizierungen an einem komplexen Gesetzesrahmen gemacht werden. Der zweite Ansatz braucht wiederum Zeit, denn es braucht Rücksprache mit Stakeholdern, internationalen Austausch und vieles mehr. Dabei muss immer berücksichtigt werden, dass die Antworten auf diese Fragen das zukünftige Wachstum des jeweiligen Marktes maßgeblich beeinflussen, und sich auch darauf auswirken, wie viel Zeit dieses Wachstum braucht und welchen Einfluss die besagte Regulierung auf andere Märkte hat, denn es gibt bei der Regulierung von neuen Technologien immer auch eine geopolitische Dimension.

2.) Im Jahr 2020 hat die Europäische Kommission ihr Digital Financial Package auf den Weg gebracht, das zum Ziel hat, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit der europäischen Finanzbranche zu verbessern, Europa als globalen Setzer von Standards zu etablieren und für mehr Verbraucherschutz bei digitalen Finanzdienstleistungen und Onlinezahlungen zu sorgen. Was muss ein Gesetzesrahmen beachten, um damit eine Region daraus einen Wettbewerbsvorteil ziehen kann?

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Wie ich bereits erwähnt habe, ist es heute wichtiger als je zuvor, die geopolitische Dimension eines Regulierungsvorhabens für neue Technologien zu berücksichtigen. In der neuen globalen Digitalwirtschaft erhöht die Konzentration von technischen Kapazitäten die Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Regionen. So gibt es zum Beispiel gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den führenden Playern und den geografischen Regionen, die sie kontrollieren, das können wir ganz klar in Asien, Europa und Amerika beobachten. In diesem Kontext sind digitale Produkte und Dienstleistungen als Machtwerkzeuge zu verstehen, die großen wirtschaftlichen Einfluss haben und für eine Art „digitalen Imperialismus“ oder „Techno-Nationalismus“ sorgen. Aus diesem Grund muss jedes etwaige Regulierungsvorhaben als mögliche Quelle für nationalen oder regionalen Wettbewerbsvorteil gesehen werden, die robuste, innovationsfreundliche und risikoaverse Märkte schaffen sollte. Dadurch wird langfristig sowohl Humankapital als auch Finanzkapital angezogen, um diese Innovationen stützen zu können.

Diese Grundsätze waren die treibenden Kräfte für das DLT Pilot Regime und die Markets in Crypto-Assets Regulations, mit denen wir zwei Meilensteine gelegt haben: Erstens, die erste paneuropäische Sandbox zur Erprobung von DLT innerhalb der Marktinfrastrukturen der etablierten Finanzbranche und zweitens, das erste konkrete Regelwerk für die Kryptobranche, das von Kryptowährungen, darunter Stablecoins, über Herausgeber und bis hin zu Marktmanipulation und noch vielen anderen Themen reicht, in dem die Standards dafür gesetzt werden, wie die Regulierung von Kryptomärkten aussehen sollte, und das einen Wettbewerbsvorteil für den europäischen Binnenmarkt schafft.

3.) Die ursprüngliche Reputation der Blockchain als „begünstigende“ Technologie für Betrug, illegale Transaktionen von Drogendealern und Terroristen im „Dark Web“, und als „umweltschädlich“, hat viele Hürden für eine Regulierung der Technologie geschaffen. Als Sie 2018 an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Blockchain Week in New York teilgenommen haben, hatten erst kleinere Nationen wie Malta und Zypern mit der Technologie herumprobiert und erste Regulierungsvorschläge in die Branche eingebracht. Damals hat die Ignoranz gegenüber der Technologie noch dazu geführt, dass viele Regulierer immer wieder darauf verwiesen haben, dass Blockchain bloß ein Trend sei. Wann haben Sie gemerkt, dass Blockchain viel mehr als nur eine begünstigende Technologie für Kryptowährungen und Crowdfunding-Tokens ist?

Ich habe schon früh begriffen, dass die Blockchain als Infrastruktur für eine große Bandbreite an Anwendungen fungieren kann, die das Potenzial haben, völlig neue Marktstrukturen und Geschäftsmodelle zu schaffen, was wiederum einen großen makroökonomischen Effekt haben wird. Obwohl sich die Technologie heute noch immer in der Entwicklung befindet, wird sie bereits als Grundgerüst und Infrastruktur für das IoT [Internet of Things] gesehen, in dem Interaktionen von Mensch-zu-Maschine und Maschine-zu-Maschine abgewickelt werden können. Dessen Einfluss auf die Realwirtschaft wird beträchtlich sein, obwohl noch nicht ganz klar ist, wie und unter welchen Rahmenbedingungen dies stattfinden wird. Nichtsdestotrotz hat die schnelle Entwicklung der Blockchain bereits sowohl die Wirtschaft als auch die Regierungen dazu gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen 1.) wie die neuen Marktplätze der Zukunft aussehen werden; 2.) welches die passenden Organisationsformen in dieser New Economy sind und 3.) was für eine Art von Marktinfrastruktur es braucht, damit sie nicht nur gegenüber der Konkurrenz wettbewerbsfähig und technisch relevant bleiben, sondern damit nachhaltiges, inklusives Wachstum nach den Anforderungen der breiten Gesellschaft ermöglicht werden kann. Hierfür sind besonders die European Blockchain Services Infrastructure und das European Blockchain Observatory and Forum wichtig, die der Europäischen Union einen sogenannten First-Mover-Vorteil in der neuen Digitalwirtschaft verschaffen sollen, indem sowohl technischer Fortschritt als auch die Konvergenz der Blockchain mit anderen innovativen Technologien erprobt wird.

4.) Am 30. Juni hat die Europäische Union eine vorläufige Einigung zur gemeinschaftlichen Krypto-Regulierung erzielt, indem die MiCA verabschiedet wurden. Das hauptsächliche Gesetzesvorhaben zur Regulierung von Kryptowährungen wurde erstmals 2020 eingebracht und wurde seitdem mehrfach abgewandelt, wobei einige Punkte deutlich umstrittener sind als andere, darunter das Auslassen der Dezentralisierten Finanzen (DeFi). DeFi-Plattformen wie Dezentralisierte Kryptobörsen scheinen von Natur aus gegen den Grundgedanken von Regulierung zu verstoßen. Ist es überhaupt möglich, die DeFi auf ihrem jetzigen Entwicklungsstand zu regulieren?

In der Tat war einer der ersten Kritikpunkte der Marktteilnehmer, als die Markets in Crypto-Assets Regulation im September 2020 erstmals vorgestellt wurde, dass die Dezentralisierten Finanzen ausgelassen wurden, die darauf abzielen, Finanzdienstleistungen zu dezentralisierten bzw. diese unabhängig vom zentralisierten Finanzsystem zu machen. Da die DeFi im Idealfall über Smart Contracts innerhalb einer Infrastruktur aus Dezentralisierte Autonomen Organisationen, die Dezentralisierte Apps (DApps) zum Einsatz bringen, laufen, ohne dass es eine zentrale, bekannte Entität gibt, konnten diese nicht sinnvoll in die Markets in Crypto-Assets Regulation integriert werden, denn diese zielt explizit auf Blockchain-Finanzdienstleister ab, die rechtlich eingetragene Entitäten sind, die im Hinblick auf ihre Regelbefolgung überwacht werden, ob sie zum Beispiel die Vorgaben für Risikomanagement, Anlegerschutz und Marktintegrität erfüllen, und im Falle einer Insolvenz verantwortlich gemacht werden können.

Den DeFi fehlt hingegen dieses Charakteristikum der „Entität“, zumindest so wie wir es bisher kennen. Auf dieser dezentralisierten Ebene müssen wir also völlig neu denken, was eine „Entität“ konstituiert und wie diese bei Verstößen haftbar gemacht werden kann. Könnte diese Struktur zum Beispiel durch Netzwerke aus pseudonymen Akteuren ersetzt werden? Warum eigentlich nicht? Allerdings ist Pseudonymität wiederum nicht kompatibel mit unserer gängigen Rechtspraxis. Zumindest nicht bis jetzt. Ganz egal, wie der Aufbau, das Design, die Wirkungsweise und die Eigenschaften eines Produkts oder einer Dienstleistung sind. Alles sollte am Ende immer auf eine oder mehrere haftbare Personen zurückgeführt werden können. Ich würde sagen, dass die DeFi genau dieses Problem haben, denn es ist unklar, wer haftbar ist. Dezentralisierung ist also eine grundsätzlich noch viel größere Herausforderung für die Gesetzgeber.

5.) Die Bemühungen der Europäischen Union im Hinblick auf eine Regulierung von Krypto und Blockchain hat schon lange vor MiCA angefangen. So hat das Europäische Parlament am 3. Oktober 2018 mit überwiegender Mehrheit und der Unterstützung aller europäischer Parteien die „Blockchain Resolution“ verabschiedet. Wie wichtig ist diese Resolution aus politischer Sicht? Inwiefern war die Verabschiedung der Blockchain Resolution ein wichtiger Schritt, damit die EU eine Führungsrolle bei der Regulierung einnehmen kann?

Die Blockchain Resolution des Europaparlaments von 2018 hat widergespiegelt, wie eine Technologie reguliert werden könnte, die sich noch in der Entwicklung befindet. Das Hauptargument der Resolution war, dass die Blockchain nicht nur eine begünstigende Technologie für Kryptowährungen und Crowdfunding-Tokens ist, sondern eine Infrastruktur für eine Vielzahl an Anwendungen, die Europa braucht, um in der New Economy wettbewerbsfähig sein zu können. Aus diesem Grund hat das Committee of Industry (ITRE) of the European Parliament den Entwurf der Resolution genehmigt, die den Namen trägt: „Distributed Ledger Technologies and Blockchain: Building Trust With Disintermediation“. Und das habe ich in gewisser Weise als mein Steckenpferd empfunden, das ich fördern muss, um die Nachfrage für eine Regulierung zu schaffen und die EU-Institutionen dazu anzuregen, sich das Potenzial der Regulierung der Blockchain-Technologie bewusst zu machen. Als ich die Resolution entworfen habe, habe ich also nicht nur darüber nachgedacht, wie am besten rechtliche Klarheit geschaffen werden kann, sondern wie institutionelle Sicherheit aufgebaut werden kann, die es erlaubt, dass die Blockchain im europäischen Binnenmarkt aufblühen kann, Blockchain-Marktplätze geschaffen werden und Europa zum besten Standort der Welt für Blockchain-Unternehmen wird. Zudem kann die EU-Regulierung zum Vorbild für andere Regionen werden. In der Tat hatte die Blockchain Resolution zur Folge, dass die Europäische Kommission dann das DLT Pilot Regime und den MiCA-Entwurf erarbeitet hat, wobei in diesen das Prinzip der Technologieneutralität und das zugehörige Konzept der Geschäftsneutralität widergespiegelt werden, um die Adoption einer digitalen Technologie ermöglichen zu können, die von großer strategischer Wichtigkeit ist.

6.) Es gibt verschiedene Blockchain-Architekturen, darunter stechen ganz besonders die kontrollfreien (permissionless) Blockchains hervor, die nicht nur Disintermediation ermöglichen, sondern ganze dezentralisierte Organisationsstrukturen mit automatisierten Steuerungsabläufen. Wenn sich diese Strukturen weiterentwickeln, glauben Sie, dass es Platz für eine Art „Lex Cryptographia“ gibt, in der Regeln durch selbstverwaltende Smart Contracts und Dezentralisierte Autonome Organisationen (DAOs) befolgt werden? Falls ja, welche Prinzipien und Richtlinien müssen die Gesetzgeber dafür schaffen?

Der ständige technische Fortschritt und das Potenzial einer dezentralisierten Weltwirtschaft, die in Echtzeit läuft und Technologien wie Quantencomputer, Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen nebst der Blockchain-Technologien einsetzt, wird zukünftig zu einer solchen „Lex Cryptographia“ führen, in der auf Programmiercode basierende Systeme der sinnvollste Weg sein werden, um Recht und Gesetz effektiv umsetzen zu können. Allerdings wird dies keine leichte Aufgabe für Politik, Gesetzgeber und die Gesellschaft allgemein.

Zunächst müssen grundlegende Fragen auf Programmierebene beantwortet werden, um eine solche „Lex Cryptographia“ gestalten zu können: Für welchen Zweck wird ein solches System programmiert? Welche Arten von Information erhält es und wie werden diese eingebunden? Wie häufig soll das passieren? Wie werden diejenigen, die das Netzwerk verwalten für ihre Bemühungen entlohnt? Wer kann garantieren, dass das System die eingebaute Regulierung auch umsetzen kann?

Die Chancen einer „Lex Cryptographia“ verlangen von uns, dass wir unser Verständnis von „guter Regulierung“ erweitern müssen. Das ist eine Herausforderung für jedes Land auf dieser Welt. Ein möglicher Weg ist meiner Meinung nach, dass wir erneut das Prinzip der „Sandbox“ nutzen, wie wir es auch beim DLT Pilot Regime gemacht haben, damit wir einen soliden und gleichzeitig flexiblen Raum haben, in dem Innovatoren und Regulatoren in gegenseitigen Wissensaustausch treten können, um so das nötige Verständnis für die Gestaltung eines entsprechenden zukünftigen Rechtsrahmens zu sammeln.

   

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